Anfang 2025 - eine Bestandsaufnahme
Wir leben in verrückten Zeiten. In Zeiten, wie ich sie mir in meiner Jugend, in meinen Zwanzigern - ehrlich gesagt, bis vor einigen Jahren niemals hätte vorstellen können. Um sie etwas besser zu ertragen, habe ich in den letzten Tagen einen Text geschrieben über das, was mir Angst macht, aber auch über mögliche Lösungen und Suche nach Vernetzungen und Gemeinschaft.
Ich lass Euch den Text hier, für alle, denen es genauso geht wie mir.
Über die Ohnmacht - und den Weg hinaus
Ich habe Angst. Ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Angst vor der Zukunft wie zu Beginn des Jahres 2025. Nicht um meine Zukunft – tatsächlich ist gerade dieser Zustand so schwer auszuhalten, denn in meinem eigenen kleinen Leben geht es mir gerade sehr gut, ich habe alles erreicht was ich erreichen wollte, ein soziales Netz mit lieben Menschen und fast alle Lieben noch um mich. Nein, um die Zukunft der Welt, um die Zukunft meiner Heimat. Die Zukunft der Menschheit. Klingt pathetisch, ist aber so. Ich kann vor Angst nicht mehr schlafen, finde keinen Grund mehr zur Hoffnung, keinen Ansatzpunkt, an dem ich wirklich sinnvoll kämpfen könnte. Gleichzeitig bin ich nicht in der Lage, mich einfach aus der Welt zurückzuziehen, in meiner kleinen Blase zu lesen, nach meinen Werten zu unterrichten und zu forschen, amüsante Bücher ohne politischen Inhalt zu schreiben und zu lesen und zu hoffen, dass die Welt durchhält, bis ich sie verlasse. Ganz faktisch nicht, denn einige der Menschen, die in meinem Herzen wohnen, haben Migrationshintergrund. Nun, sie könnten wahrscheinlich noch eine Weile bleiben, denn sie leisten ja wertvolle Beiträge in unserer Gesellschaft, sind keine Straftäter und haben voraussichtlich bald die deutsche Staatsangehörigkeit – und es ist schlimm, dass das nötig ist, dass man das erwähnen muss, dass sich ihr Wert nach ihrer Leistung bemessen lassen muss.
Aber auch moralisch nicht. Ich möchte nicht zu denen gehören, die nichts getan oder nichts gesagt haben, die geschwiegen haben im Angesicht des sich nähernden Unrechts. Der aufziehenden Katastrophe. Im Gegenteil, mich wundert, dass nicht mehr Menschen darüber sprechen. Das alle weiterleben wie bisher, alle Energie in den banalen Alltag stecken, alles Politische immer mehr vermeiden. Vor allem die Menschen mit Kindern, die jüngeren Generationen. Um euch geht es doch, um eure Kinder, um eure Zukunft… Wieso schweigt ihr weiter? Auch das Schweigen macht mir Angst.
Schon lange macht mir der Klimawandel Angst, und mir ist bewusst, dass sehr viele Menschen ab diesem Satz aufhören, sich mit meiner Meinung zu befassen. Und tatsächlich macht mir auch eure Ignoranz zu diesem Thema Angst. Ich glaube, dass es eine Mischung ist zwischen geschickter politischer Manipulation und dem Unwillen, dieser unaufhaltbaren Katastrophe ins Gesicht zu sehen. Das verstehe ich sehr gut, ich versuche auch, das so oft wie möglich zu verdrängen. Aber das ist immer weniger möglich – und wenn wir schon nicht verzichten wollen (weil: China! Und die USA! Alle anderen sind ja noch viel schlimmer! Und die Grünen fliegen auch in Urlaub!), dann sollten wir uns doch zumindest wappnen! Als Gesellschaft überlegen, was wir in Zukunft anbauen können, wie wir uns vor Naturkatastrophen schützen können, was passiert, wenn auf der Welt unvermeidbare Veränderungen zu neuen Migrationsbewegungen führen. Wir müssen doch als Minimum dafür planen!
Das Thema hat schon gereicht, dass ich mich irgendwann gegen Kinder entschieden habe – ich bin aber auch von Natur aus pessimistisch. Jetzt kommt noch die reale Bedrohung von Krieg und Rückgang der Demokratie dazu. Mir ist bewusst, dass einige von denen, die bis hierher gelesen haben, denken werden: Zum Glück hat diese links-grün-versiffte, nicht besonders feminine Frau sich nicht fortgepflanzt. Wahrscheinlich wollte eh niemand mit ihr… Selbst schuld, wenn man die Karriere über alles stellt, welcher Mann will denn sowas. Ich kenne Menschen, die so denken und so etwas auch vermehrt aussprechen. Und auch das macht mir Angst, diese Verachtung, dieser Hass anders Denkenden gegenüber. Diese Hemmungslosigkeit bei den Beleidigungen, bei den gegenseitigen Attacken. Dieses Gefühl, alles sagen zu dürfen, was man denkt, den Hass schrankenlos ausleben zu dürfen – und das als Meinungsfreiheit zu bezeichnen. Die im Übrigen dann aber nur in eine Richtung wirkt, denn wenn die andere Seite etwas kritisiert oder gar Konsequenzen aus einer Aussage zieht, dann ist das Cancel Culture oder übermäßige Empfindlichkeit. Was ist aus den Werten geworden, die mir nicht nur anerzogen wurden, sondern die mir auch wirklich wichtig sind? Empathie, Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln, gegenseitiges Verständnis, Rücksichtnahme und Respekt?
Stattdessen hat im Moment scheinbar der Hass gewonnen.
Inzwischen ist er überall so viel deutlicher geworden. So vieles traut man sich nicht mehr zu sagen, so vieles will ich nicht mehr lesen, weil überall der Hass dominiert. Verachtung, Entmenschlichung.
Jede noch so minimalistische Gebrauchsanweisung für Machterhaltung, Anhäufung unfassbaren Vermögens und Faschismus enthält diesen Hass als Stufe eins:
Biete der Unter- und Mittelschicht ein geeignetes Feindbild. Tue alles erdenklich Mögliche, den Angehörigen dieses Feindbilds die Schuld an allem zu geben, was schiefläuft und mache sie zur perfekten Projektionsfläche für diesen Hass. Schüre ihn immer weiter, bis die Vernunft abgeschaltet ist, bis die Polarisierung derart stark ist, dass die verschiedenen Gruppen nicht mehr miteinander sprechen, sondern sich nur noch verachten. Die wenigsten dieser Menschen wollen hassen – sie haben wahrscheinlich ebenfalls Angst, aber haben keinen dafür anderen Kanal. Also wird von denen, die gut taktieren können, diese Angst in Hass umgewandelt. Und schon ist die Macht und das Geld sicher.
Das hat so gut funktioniert – auch weil viele von uns die Gefahren ahnen, die Krisen, auf die wir zusteuern, und das alles nicht wahrhaben wollen. Weil viele zumindest nicht den Status, den sie haben, gefährden wollen und alles so bleiben soll, wie es ist. Das wäre doch immer das Schönste – wenn alles einfach so bleiben könnte, wie es ist. Wenn man nicht umdenken müsste, den eigenen Lebensstil, die eigenen Denkweisen, die eigene Wortwahl. Wenn man sich in seiner Weltanschauung nicht hinterfragt sehen müsste. Wenn man weiterhin einfach die Zeitung oder Website konsumieren könnte, die man schon immer gelesen hat – da ist man doch hinreichend informiert, da weiß man doch alles, die wissen doch, was läuft. Oder zu denen aufschauen könnte, die die bestehenden Strukturen zu den Siegern erklärt, und die doch das leben, was man irgendwie auch gern hätte.
Elon Musk, Donald Trump, und in anderen Ländern finden sich viele andere (Österreich! Was passiert dort nur, in unserem Nachbarland, und immer noch erschrecken wir nicht). Hier bei uns: Björn Höcke, Alice Weidel, Friedrich Merz, Markus Söder, Carsten Linnemann, Christian Lindner, und viele mehr.
Die trauen sich! Die sagen endlich mal, was wir alle denken!
Verkörperungen des eigenen Hasses, der eigenen Unsicherheit, der eigenen Unzufriedenheit.
Wie bequem.
Und die müssen doch wissen, wovon sie sprechen, sonst wären sie doch nicht da, wo sie sind. Aber für die anderen, für die gilt das natürlich nicht. Die kann man beschimpfen, abwerten, beleidigen.
Sich dabei für einen Moment wieder selbstwirksam fühlen. Man ist doch zumindest nicht so wie… (hier beliebig einsetzen: faule Bürgergeld-Empfänger, straffällige Migranten, links-grün Versiffte, und seit Neuestem: psychisch Kranke, weil für die brauchen wir nämlich auch dringend ein Register).
Und merkt nicht, wie man immer mehr wird wie die Genannten: Narzisstisch, unempathisch, machtversessen, hasserfüllt, arrogant. All das kommt nur leider nicht gut an, wenn man keine Macht und kein Geld ab, und dann kriegt man keine Frau ab oder keinen Job – naja, stimmt nicht ganz, leider bekommt man noch viel zu oft auch gerade so eine Frau, einen Job und einen passenden Freundeskreis. Und doch noch ein kleines bisschen Macht, ein kleines bisschen Anerkennung. Aber halt nicht für das, was einen vielleicht wirklich zufrieden machen würde – nur weiß man das nicht. Will das auch nicht hören, das ist nämlich links-grün versifft und würde zudem nicht ermöglichen, einfach allen anderen die Schuld geben. Man müsste sich hinterfragen und vielleicht sogar ändern. Und ehrlich gesagt macht mir auch das Angst, wie wenig das noch gewollt ist, wie nach jemandem gesucht wird, der Schuld ist, nur um nicht nachdenken und etwas ändern zu müssen.
Die Selbstgerechtigkeit aller, die mitdiskutieren. Ich nehme mich da gar nicht aus, ich werde auch selbstgerechter, wütender, unwilliger. Wieso soll ich noch Verständnis haben? Wieso soll ich noch freundlich bleiben in einer Welt, die das nur noch ausnutzt und in der ich mir dennoch Dinge anhören muss, die ich nie zu jemand anderem sagen würde. Wieso soll ich die Regeln befolgen, höflich bleiben, mich den Strukturen fügen, wenn andere das auch nicht tun und dafür gefeiert werden?
Nicht zuletzt, weil auch das mir Angst macht: Ich bin eine Frau. Ich erlebe gerade die Rückkehr einer toxischen Männlichkeit, die meines Erachtens leider sehr eng mit der Entwicklung zusammenhängt.
Ich muss an dieser Stelle differenzieren, in dem Bewusstsein, dass diese Differenzierungen oft gar nicht mehr wahrgenommen werden. Ich spreche nicht von ‚den Männern‘, ich spreche von einer Struktur der toxischen Männlichkeit, die uns wieder einholt und in eine gefährliche Vergangenheit zieht. Nicht alle Männer leben diese Art von Männlichkeit, andersherum gibt es viele Frauen, die diese Form von Männlichkeit verstärken und feiern. Es geht nicht um Frauen gegen Männer, es geht um eine bestimmte Form des Denkens und Seins, die dazu führt, dass ‚Menners‘ (wie man eine bestimmte Gruppe inzwischen nennt) viel zu ausführlich und laut mansplainen, obwohl sie keine Ahnung haben, sich dabei aber unglaublich schlau fühlen, weil sie gar nicht darauf gepolt sind, die hochgezogene Augenbraue ihrer weiblichen Zuhörerin richtig zu interpretieren. Dass Frauen immer noch unendlich viel Energie auf ihre Figur und Faltenfreiheit verschwenden, statt auf ihre innere Kraft und äußere Wirksamkeit. Dass ‚Menners‘ an Silvester kriegsähnliche Zustände dazu nutzen, anderen Menschen – nicht nur deren Eigentum, auch deren Körper und Psyche – und anderen, schwächeren Wesen zu schaden, weil das ist doch Tradition! Ich lass mir doch nicht meinen Spaß rauben, ist doch nur einmal im Jahr, stellt euch nicht so an! Dass die Gewalt gegen Frauen in all ihren Formen nicht nur nicht wirksam bekämpft, sondern häufig gesellschaftlich legitimiert oder zumindest verschleiert wird. Oder nur mit Bewährungsstrafe sanktioniert, da der Täter sonst seinen Beamtenstatus verlieren würde. Und ich bin sonst nicht für härtere Strafen, aber man sollte jedenfalls genau hinschauen, ob Taten gegen Frauen ebenso verfolgt und sanktioniert werden wie Taten gegen Männer, wenn nicht gibt es auch da ein Problem.
Und so viele mehr in diesem Bereich, dass mich beunruhigt, wenn ich an die Zukunft nicht nur der Mädchen in meinem Umfeld, meine Patentöchter, die Nichte meines Partners, meine Studentinnen und vieler mehr denke, sondern auch der Jungen und Männer, denn auch für die ist dieses System schädlich. Nur ist es schwer, das zu sehen, wenn es einem kurzfristig manchmal Vorteile verschafft.
Die Schäden davon, die könnten in Zukunft auch schwerer zu bekämpfen sein: Denn nicht nur ist eine Therapie jedweder Form nicht nur immer schwerer überhaupt zu bekommen – lange Wartelisten, nicht genug Fachkräfte – und immer weniger finanzierbar, da manche Politiker die Krankenversicherungen sehenden Auges in finanzielle Notlagen getrieben haben, um politische Vorteile zu erlangen. Nein, sich um die eigene psychische Gesundheit zu kümmern, was so wichtig wäre, so sinnvoll, so weiterführend – das wird schon bald wieder in einer Form stigmatisiert werden, wie wir es aus den letzten Jahrzehnten kennen. Wie ja in vielem in die Vergangenheit zurückgekehrt werden soll. Denn es wird nun ernsthaft gefordert, ein Register für psychisch Kranke einzuführen!
(Das folgt übrigens einer weit verbreiteten Taktik: Erst etwas Unerhörtes sagen, abwarten, zurückrudern, relativieren – das ist allerdings keine Taktik eines anständigen, moralischen Menschen.)
Doch weiter im Text: Dieser kleine Ausschnitt macht mir so viel Angst und steht symbolisch für so vieles der letzten Zeit: Ein Politiker einer Volkspartei, ein hochrangiger (!) Politiker dieser Partei fordert eine menschenverachtende, gegen die Verfassung verstoßende, widerwärtige Praxis, die im Übrigen mit der Aufweichung der Schweigepflicht verbunden wäre. Alles daran ist so falsch, so verächtlich, so undenkbar. Aber nicht nur wird dazu NICHTS in der Springer-Presse berichtet, was mich eigentlich kaum noch überraschen sollte, wenn man sich deren Berichterstattung zur Potsdam-Konferenz oder dem Treffen der AfD mit Neonazis in der Schweiz betrachtet – Nein: diese Person macht einfach weiter wie vorher. Keine politischen Konsequenzen, kein Aufschrei, kein Problem.
Unabhängig davon, wie unfassbar menschenverachtend dieses Forderung ist: Was wird die Folge sein? Weniger Menschen werden sich mit ihren Problemen an Therapeuten wenden. Unabhängig davon, dass das ohnehin nie die Menschen waren, die wirklich gefährlich sind. Die sehen nämlich nicht sich selbst als das Problem an, sondern die anderen. Selbstreflektion muss erlernt und gelebt werden.
Schauen wir uns exemplarisch für unendlich viele noch eine weitere Forderung dieser Partei an: Abschiebung von Geflüchteten nach zwei Straftaten, ohne jegliche Differenzierung. Ich könnte nun viel dazu sagen, dass unser gesamtes Strafrechtssystem in Konstrukt und in praktischer Umsetzung gegen die Armen und Schwachen unserer Gesellschaft richtet – ja, auch auf Täterseite! – und schon deshalb die Forderung unsäglich ist (Schwarzfahren ist eine Straftat; je nach Ansicht ist es auch eine Straftat, Essen aus einem Mülleimer mitzunehmen, jemandem in der Hitze des Gefechts mal den Mittelfinger zu zeigen ist eine Straftat, während die Verschwendung von Millionen durch Einführung einer nicht realisierbaren Maut oder die Erpressung von Krankenkassen durch eine bestimmte Partei offensichtlich keine Straftat ist, wie viele anderen Taten der Reichen, oder wenn dann nicht verfolgt werden – so hätte etwa Donald Trump die Voraussetzung dieser Forderung sehr leicht erfüllt. Hat es Konsequenzen für ihn? Oder für die Sänger rechtsextremer Lieder in Sylt?) Aber es ist ja so viel leichter, uns Angst vor dem kriminellen Migranten zu machen, mit einer einfachen Lösung – weg mit ihnen – statt einer Auseinandersetzung mit und Bekämpfung von Ursachen. Und wir fühlen uns besser mit unseren Verfehlungen, weil wir ja zumindest nicht abgeschoben werden können. Zu Verfehlungen hier nochmal eine kleine Zahl: Es gibt eine Studie, nach der ein Drittel von Männern Frauen zum Geschlechtsverkehr zwingen würde, wenn das keine strafrechtlichen Folgen hätte – auch wenn die Studie vielleicht nicht in allen Details perfekt ist, neige ich inzwischen dazu, dem Ergebnis durchaus zu glauben. Und das ist völlig unabhängig von der Herkunft. Soweit zur moralischen und rechtlichen Einstellung der Personen, mit denen wir in einer Gesellschaft leben. Aber nach zweimal Schwarzfahren bitte Abschieben, die bösen Migranten, denn die sind das wirkliche Problem. Und dann wäre wirklich interessant, wie viele von den Personen, die das fordern und unterstützen, selbst auf Sozialen Medien eigentlich mehr als eine Beleidigung begangen haben – nur wird das eben nicht verfolgt, nicht sanktioniert, und – sie sind ja hier geboren, haben also halt auch einfach Glück gehabt.
Und dann können wir wieder in Ruhe unsere Freiheit genießen. Und zwar so wie wir sie verstehen! Freiheit, wie sie inzwischen verstanden wird: Freiheit, die Umwelt zu verschmutzen und Tiere und Menschen zu schädigen (solange es legal ist, ich lass mir doch nichts von den Grünen wegnehmen!), Freiheit, andere zu beleidigen (siehe oben, das muss nicht mal legal sein, nicht verfolgt werden reicht – und was können wir denn dafür, dass das Gegenüber so ein Sensibelchen ist), Freiheit, uns von unser allerschlechtesten Seite zu zeigen, nichts tun, lernen oder erkennen zu müssen und dann die Freiheit, darüber zu jammern, dass wir von der Cancel Culture abgestraft werden. Oder, im Fall der richtig Reichen: Freiheit, weiterhin auszubeuten, Steuerschlupflöcher zu nutzen, uns Medien zu kaufen (direkt, für ein paar Milliarden, oder indirekt, durch Gastbeiträge in einst ‚seriösen‘ Zeitungen).
Ach, es gäbe so viel zu sagen. Doch ganz ehrlich: Ich habe die Hoffnung verloren, dass es jemanden erreicht – vor allem jemanden, der nicht ohnehin schon so denkt und die Welt so sieht wie ich.
Die Menschen mit mehr Macht und Geld als ich, die Menschen rechts der Mitte, haben die Propaganda-Maschinen durchschaut und nutzen sie mit einer Taktik, mit einer Kraft und Absprache, dass mir schwindlig wird. TikTok ist in Deutschland fest in der Hand der AfD. In den anderen sozialen Medien traut man sich kaum noch, irgendetwas Politisches zu posten, weil man so schnell von Trollen beleidigt wird, während einem die vorher Vertrauten entfolgen, weil sie keine Lust haben, überall Politisches zu lesen (ich kann das schon verstehen, fürchte aber, dass das inzwischen vielleicht doch nicht mehr so einfach ist mit dem unpolitischen Leben – alles wird gerade politisch, ob wir wollen oder nicht, und dann wird irgendwann eben auch Wegsehen und Schweigen politisch).
Ich habe keine Hoffnung, weil wir das alles doch schon einmal erlebt haben, und offensichtlich nichts daraus gelernt. Wir haben alle in der Schule über das Dritte Reich diskutiert, und waren alle überzeugt, dass wir eher Mitglied bei der Weißen Rose als der NSDAP gewesen wären. In unseren jugendlichen Gedankenexperimenten standen eben auch nicht unser Job, das ererbte Häuschen und unsere Selbstgerechtigkeit auf dem Spiel. Wir alle müssten wissen, was passiert, wollen es aber nicht sehen. Wollen nicht belästigt werden von unseren Ängsten und den gesellschaftlich Schwächeren.
Ich habe keine Hoffnung mehr, weil selbst die, die sehen, was passiert, die es nicht schaffen zu verdrängen und sich auf ihr kleines Leben zu konzentrieren, offensichtlich nichts tun können. Wir verlieren den Kampf um die Deutungshoheit. Wir verlieren den Kampf, Hass siegt über die Liebe.
Hass und Verachtung scheinen so stark zu sein, das aufgebaute Feindbild so mächtig, der Unwillen zu Sehen und zu Lernen so groß, dass wir unseren Kurs nicht mehr korrigiert bekommen. Oder?
Das Schlimme ist, dass ich nicht glaube, dass wir auf diesem Kurs irgendwelche unserer Probleme wirklich lösen können – denn darum geht es denen, die das Schiff steuern, doch auch gar nicht.
Demokratie bedeutet, Politik für die zu machen, die schwächer sind als man selbst, deren Chancen im Leben schlechter sind, die weniger Macht und Ressourcen haben. Das bedeutet Gemeinschaft.
Glaubt jemand wirklich, dass wir das sehen werden von Merz, Söder, von Linnemann oder Lindner? Oder noch besser: von Höcke, Weidel, und ihren Unterstützern? Glauben wir wirklich, dass sie sich um andere scheren? Um unser aller Zukunft? Dass sie sich um die Schwächeren von uns bemühen?
Diese Art zu denken und die Welt zu sehen, sich selbst nur durch Hass und Missachtung anderer zu erhöhen, Selbstwirksamkeit in Trotz zu finden, macht, vermute ich zumindest, nicht wirklich glücklich. So schwer es mir die aktuelle Gesellschaft macht, ich glaube immer noch, dass wir mit Empathie, mit einer funktionierenden Gemeinschaft und einem echten Miteinander, besser fahren würden.
Das versuche ich, wie meine Kolleginnen und Kollegen, in meinem Beruf umzusetzen. An den Universitäten sind wir dafür verantwortlich, den Nachwuchs auszubilden, der in den nächsten Jahrzehnten an vielen wichtigen Schaltstellen unsere Gesellschaft gestalten wird. In meinem Fall in einem für Machtungleichgewicht sehr anfälligen Bereich, der Strafrechtspolitik und Strafjustiz.
Mehr denn je ist für uns – für jede und jeden von uns – deshalb zunächst wichtig, die Möglichkeiten, die unsere jeweiligen beruflichen und gesellschaftlichen Positionen mit sich bringen, klug zu nutzen. Das kann heißen, sich klar zu den strafrechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit zu positionieren, oder den zukünftigen Richterinnen gute Argumente mitzugeben, wenn die (zum Teil bewusst von der rechten Seite entsandten) Schöff:innen unangemessene Strafen fordern. Je nach dem eigenen Beruf, der eigenen Situation, kann das jeden Tag etwas anderes bedeuten, und es ist wichtig, dass wir uns unserer gesellschaftlichen Wirksamkeit bewusst bleiben und sie uns nicht nehmen lassen. Denn auch das ist ja Methode – mürbe machen, in das Private drängen, anders Denkenden die Stimme nehmen.
Zu unserer Wirksamkeit gehört auch, mit etwas Abstand die Probleme zu analysieren. Auch wenn es mir und vielen in meinem Umfeld gerade so vorkommt, als hinge alles mit allem zusammen und würde gerade dadurch der Problemdschungel undurchdringbar, kann es sinnvoll sein, sich immer wieder mit der anstrengenden Frage nach den Ursachen der Probleme auseinanderzusetzen und so neue Ideen für mögliche Lösungen zu finden. Das ist unsere Aufgabe nicht nur in der Wissenschaft, sondern im Alltag, in jeder gesellschaftlichen Kommunikation (und das ist übrigens meines Erachtens gerade für die Wissenschaft im Moment so wichtig: Kommunizieren, nach außen treten, die Gesellschaft wieder auf die Seite der Fakten holen und zeigen, dass diese gar nicht so erschreckend sind wie vermutet). Die notwendige Differenziertheit in den Debatten auch gegen zunehmende Widerstände erhalten und dafür manchmal Nachteile in Kauf nehmen. Wir als Wissenschaft haben einen gesellschaftlichen Auftrag.
Etwas verändern können wir auch, indem wir Vorbilder sind und bleiben. So hoffe ich, dass es nicht völlig bedeutungslos ist, dass ich für weibliche Studierende einen möglichen Weg aufzeigen kann. Und dass ich Ihnen meine Werte in jeder Vorlesung zeigen kann, ohne sie zu zwingen, sie zu übernehmen. Aber vielleicht kann ich zumindest einige von ihnen überzeugen, dass nicht alles schlecht ist, was links der Mitte steht. Dass unsere Welt nicht durch Rückschritte gerettet werden kann, sondern durch ein gemeinsames Nach-Vorne-Schauen, durch ein Miteinander, durch gegenseitiges Verständnis.
Doch das alleine reicht mir nicht mehr angesichts dessen, was wir inzwischen jeden Tag lesen müssen, was wir erleben und fürchten müssen. Gerade nicht, wenn ich die Generation nach mir sehe und mir überlege, dass für sie die Angst noch viel größer sein muss. Mit Freunden und Familie beginne ich inzwischen, über neue Lösungen für unser eigenes kleines Leben nachzudenken. Eine stabile Gemeinschaft im echten Leben aufbauen. Genug Land für Selbstversorgung erwerben. Notrationen, Bargeld, Gold. Stabiler Keller. Absicherung vor Gewalt. Aber ich möchte gar nicht so leben, dass ich nur über mich und die meinen nachdenke. Es geht auch um all jene, die von der Politik der Zukunft sehr viel mehr betroffen sein werden als ich. Ich möchte gern etwas beitragen, etwas tun, helfen, unterstützen.
Und ich weiß, dass es vielen so geht wie mir. Wir wollen mehr tun, mehr als unsere Vorfahren um 1930. Aber was? Klug wählen, keine Frage. Das ist ein wichtiger erster Schritt, an den wir alle denken sollten (und klug heißt, so meine ich zumindest, in 2025 auch taktisch, um seine Stimme nicht zu verschenken). Demonstrieren? Hatten wir schon, zu Beginn 2024 waren wir alle auf der Straße, hat nicht viel gebracht. Und jetzt mobilisieren wir nicht mal mehr Menschen, die mitkommen würden, so fühlt es sich zumindest an. Spenden? Was nutzen unsere Beiträge angesichts dessen, dass Frau Weidel vom reichsten Mann der Welt zum Interview eingeladen wurde (übrigens sieht man daran recht gut, worum es geht: Destabilisierung aller Staaten, um absolute Macht zu erhalten – wie in jedem James Bond Film…) Mit Freunden und Bekannten diskutieren, auf Social Media posten und reposten, im Kleinen den Mitmenschen helfen, gerade Menschen aus anderen Ländern zeigen, dass sie hier geschätzt werden, empathisch bleiben, trotz allem versuchen freundlich zu sein. Geschichten über Menschen erzählen, die so denken und leben wie ich. Wird alles von gemacht, nicht nur von mir, sondern von so vielen, und würde in einer anderen Gesellschaft vielleicht reichen und etwas nutzen.
In unserer müssen wir uns gegenseitig noch mehr mit Ideen und Hoffnung versorgen als bisher. Wir müssen uns besser vernetzen, darin liegt meines Erachtens ein ganz wichtiger erster Schritt. Wir alle leben mit unseren Gedanken und Sorgen, wir müssen sie aber mehr miteinander teilen, gemeinsam schultern und gemeinsam Gegenstrategien entwickeln. Ohne dabei unsere Werte aufzugeben, geht es genau darum: Strategisch denken. Uns organisieren. Die Mittel, die sie uns bietet, nutzen für die Verteidigung unserer Demokratie, für unsere Verfassung, für unsere Zukunft. Unser Grundgesetz sieht die Möglichkeit vor, die Verfassungsmäßigkeit von Parteien überprüfen zu lassen, auch gegen andere vermeintlich einfache Lösungen bietet es Schutz. Was noch? Uns nicht in Erschöpfung und Verzweiflung drängen lassen. Die Positionen, in denen wir uns befinden, bewusst nutzen für unsere Ziele, die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Interaktion effektiv ausweiten, real und digital, und uns unter keinen Umständen die Stimme nehmen lassen. Laut werden. Gegenhalten. Miteinander weiterkämpfen.