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Raised purple fist of a woman for international women's day and the feminist movement. Mar

Die Wut der Frauen - eine unbequeme Notwendigkeit

Ich hätte es wissen müssen. Vielleicht habe ich es gewusst. Vielleicht habe ich trotzdem gehofft, dass es anders läuft. Dass dieses Mal, in dieser Diskussion, nicht alles wieder nach Schema F verläuft. Und doch: Wieder wälzte ich um zwei Uhr nachts in meinem Bett herum und fragte mich, ob ich diesen verdammten Post hätte absetzen sollen.

Mein Post war eine spontane Reaktion auf die letzte Wahlkampf-Rede von Friedrich Merz. Eine wütende Reaktion auf eine Rede voller Polemik gegen Menschen, die einfach nur ihr Demonstrationsrecht wahrnahmen – auch gegen ihn, gegen seine Kurzschlusshandlung, die eine Erschütterung der Brandmauer bedeutete. Gehalten mit der Arroganz eines Mannes, der weiß, dass er für sein Verhalten nie wirklich mit Konsequenzen rechnen muss. Viele Millionen waren wütend auf ihn, hatten Angst vor seiner Unberechenbarkeit, hatten und haben Sorge um ihr Land, um die Schwächsten im Land. Er reagierte mit Beschimpfungen, Spaltung, Abwehr. Statt mit Selbstkritik, Verständnis und Einigung des Landes, was wir eigentlich bräuchten.

Über das Video von der Rede schrieb ich, dass ich nicht wolle, dass so ein Mann mein Kanzler wird. Dass ich in meinem Leben viele dieser alten, misogynen Männer erlebt habe – ich habe mich intensiv mit dem Frauenbild des Friedrich Merz befasst, und auch das bereitet mir Sorge, vor allem für die jüngeren Frauen in diesem Land. Mir kann kaum jemand noch was, mir geht es gut, ich habe erreicht, was mir wichtig war. Viele Frauen werden es noch schwerer haben als ich, statt endlich einmal leichter. Ich habe geschrieben, dass ich fühle, wie er mich beim Reden anspuckt. Ein starkes Bild, zugegeben. Aber war es nicht genau das, was ich empfand? Denn mit seinen Beleidigungen hat er gespuckt, auf die Mühe der Bürger, die Widerstand leisteten.

Wenige Stunden später, in meinen Direktnachrichten: eine Nachricht von einem Mann. Ein Kollege, den ich von früheren Kooperationen kenne. Mit einem Profilbild, das Kompetenz und Seriosität ausstrahlt. Eigentlich ein netter, bisher. Seriös. freundlich. Soweit, so vorhersehbar.

"Ist es nicht etwas einfach und ein unsachlicher Reflex, einen Menschen als „misogynen alten Mann“ zu bezeichnen?"

Da war er, der Ruf zur Ordnung. Frauen dürfen wütend sein, aber nicht zu wütend. Frauen dürfen Kritik äußern, aber bitte in wohltemperierten Worten. Denn wenn eine Frau starke Worte benutzt, ist sie unsachlich, emotional, irrational. Wenn ein Mann sie benutzt, ist er entschlossen.

Ich atmete tief durch und antwortete. Sachlich. Höflich. Ich erklärte, dass Merz mehrfach gezeigt hat, wie er zu Frauen steht. Dass er gestern Millionen Menschen beleidigt hat. Dass ich meinen Ekel gegen sein Auftreten nicht aus dem Nichts hole. Ich hätte es dabei belassen können. Hätte meine Zeit sinnvoller verbringen können. Aber ich wollte, dass er versteht. Dass es nicht um "persönliche Projektionen" geht, sondern um strukturelle Probleme. Gerade weil ich bisher immer das Gefühl hatte, er wäre ein Verbündeter, jemand der verstehen will.

Doch ich hatte mich getäuscht. Er war nicht daran interessiert, zu verstehen.

"Warum dann auf „Mann“ abstellen?" fragte er.

Warum? Weil es eben Männer sind, die sich dieses Verhalten leisten. Weil es kein Zufall ist, dass ich über Jahrzehnte fast ausschließlich von Männern in Diskussionen belehrt wurde. Weil Frauen, die sich ähnlich verhalten, als hysterisch, überzogen, unangenehm gelten – und aus dem Diskurs gedrängt werden. Weil sich diese Männer nicht einmal die Mühe machen, sich selbst zu reflektieren. Und weil es schlicht und einfach halt ein Mann war, der so gehandelt hat.

Doch der Mann empörte sich weiter.

"Mehr Abstellen geht kaum. Schade." Keine Erklärung, kein Eingehen auf etwas. „Schade“.

Schade. Ja, schade, dachte ich. Schade, dass ich meine Zeit mit so einer Diskussion vergeudete. Schade, dass er nicht darauf einging, was Merz gesagt hatte. Schade, dass er mich auf meine Wortwahl reduzierte, statt sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Die doch sogar noch harmlos war als Reaktion auf das, wie Merz beschimpft, gespuckt, einen Ermordeten instrumentalisiert hatte. Wieso darf man nicht wütend sein auf einen Mann, der Angst macht?

Der Frust kochte in mir hoch. Ich wusste, was jetzt kommen würde. Das Muster war mir vertraut. Er würde meine Erfahrung als irrelevant abtun. Er würde mir unterstellen, dass ich nicht auf Fakten basiere, sondern auf "Gefühlen". Und natürlich – er würde versuchen, den moralisch Überlegenen zu geben. Und genau so kam es.

"Es scheint, als würden Sie sehr persönliche Erfahrungen auf Merz projizieren. Das ist unsachlich."

Projektion. Das Wort klang in meinem Kopf nach. War es Projektion, wenn man Muster erkennt? Dass es immer dieselben Männer sind, die sich selbst nie als Problem sehen? Während wir Frauen gelernt haben, uns sofort anzuzweifeln, zurückzunehmen, zu bremsen. Warum fragte ich mich sonst schon in diesem Moment, ob mein Post zu viel war, fragte eine Vertraute, las den Text mehrfach durch und überlegte immer, ob ich ihn nicht doch löschen sollte?

"Ich habe mich mit dem Frauenbild von Herrn Merz befasst," schrieb ich zurück, "und dass Sie mir nicht zutrauen, meine Meinung auf mehr als auf Projektion zu stützen, finde ich problematisch."

Und wieder war die Antwort erwartbar. Er wollte nun die Diskussion beenden. "Ich denke, wir lassen es so stehen." Ein bekannter Schachzug. Frauen müssen sich lange erklären, immer weiter argumentieren, werden belehrt – doch wenn sie mit Gegenargumenten konfrontieren, dann ist plötzlich "genug gesagt". Es war kein Diskurs. Es war eine Belehrung. Ich dachte darüber nach, versuchte noch einmal, mich zu erklären. Wollte nur ein wenig Verständnis, wollte nicht als die „Unsachliche“ da stehen. War es so schwer, unser Verbündeter zu sein?

Unsere Sorge zu verstehen, wenn nun ein Mann an die Macht kam, der sich sicher nicht einsetzen würde für mehr Gleichstellung, für mehr Rechte für marginalisierte Gruppen, für Entlastung bei Care Arbeit? Ich versuchte zu erklären. Er stellte auf seine Frau ab, die sich abwenden würde, wenn sie sowas Schlimmes sah wie „Frauen gegen Merz“. Als ich dann darauf hinwies, dass sie vielleicht privilegiert waren und das deshalb so sahen, und ja auch den Frust und die Wut der Frauen wahrnehmen könnten, beide, statt das nur abstoßend zu finde, fand er es offensichtlich unverschämt, ich würde seiner Frau unterstellen, sie würde sich nicht befassen. Dabei hatte er das gerade doch selbst geschrieben.

Und dann, als finale Krönung, sein letzter Satz: "Bin raus."

In dem Moment wurde ich wirklich wütend. Nicht nur wegen seiner Haltung, sondern wegen des Systems, auf dem diese Art des Argumentierens basierte – und die Haltung, dass man mir schreiben, mich zurechtweisen durfte, mir erklären durfte, was unter meiner Würde war – und dann nicht auf Argumente antworten musste, sondern einfach abbrach, ohne auch nur die mindeste Auseinandersetzung mit der Gegenseite.

Ein Mann, der offensichtlich nicht genug wusste von patriarchalen Strukturen, um sich jemals damit auseinandergesetzt zu haben, was schon so eine ungefragte Nachricht für Zweifel schürten bei Frauen. Der uns unsere Wut und unseren Frust nicht zugestand – denn er und seine Frau fanden das ja abstoßend, also durften wir Frauen natürlich nicht wütend oder frustriert sein über die Misogynie in der Welt, weil es diese braven Bürger irritierte, und nein, das durfte natürlich nicht geschehen. Darauf durfte man ungefragt reagieren und zurechtweisen.

Der Mann würde am nächsten Tag in sein Büro gehen – keine einzige Frau arbeitete übrigens in seinem kleinen Unternehmen. Er würde sich keine Gedanken darüber machen müssen, wie sein Geschlecht seine Glaubwürdigkeit in politischen Debatten beeinflusst. Würde nie erleben, dass seine Wut als "unsachlich" oder "unter seiner Würde" abgetan wird. Würde gar nicht in die Situation solcher Wut kommen, da er und die seinen keine Sorge vor Marginalisierung haben mussten und Menschen mit Wut und Frust nur abstoßend fanden. Verdammt, ich war nicht mal für mich wütend, sondern für die Welt, und nicht mal das gestand man mir zu?

Er würde nicht an sich zweifeln nach dieser Diskussion, weil ihm nicht von Kindheit an eingebläut wurde, dass man immer brav und angepasst sein musste, sonst war man halt falsch, zu emotional, untragbar, abstoßend. Er würde weiter glauben, dass er neutral sei, dass er objektiv bewerte. Würde nie verstehen, dass er die eigentliche Projektion begangen hatte.

Und ich? Ich war nachts wach geblieben. Hatte überlegt, ob ich hätte sanfter formulieren sollen. Ob ich zu emotional war. Hatte in meiner Wut gezweifelt, obwohl ich wusste, dass sie berechtigt war. Und das ist das eigentliche Problem: Dass Frauen so oft lernen, ihre eigene Wut in Frage zu stellen, während Männer so vieles als Selbstverständlichkeit ausleben dürfen. Ich habe sogar ChatGPT nach einer Bewertung der Diskussion gefragt – danach habe ich differenziert argumentiert, das Gegenüber wollte darauf nicht eingehen, das war noch der freundlich formulierte Teil dieser Analyse, die mich klar zur Gewinnerin erklärte. Ich habe eine Vertraute gefragt, die meine Wut verstand und mit der ich mich über unsere Lage austauschte.

Ich setzte eine letzte Nachricht auf. Eine lange, wütende Nachricht. Ja, wütend, verdammt noch mal. Natürlich durfte ich wütend sein! Ich wusste, dass er sie nicht verstehen würde. Vielleicht würde ich die Nachricht auch nicht abschicken, sondern einen Text zu meiner Antwort machen.

Nicht für ihn. Für mich. Und für all die Frauen, die nicht mehr schweigen wollen.

Susanne Beck

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